13 LÄNDER IN 100 TAGEN
Mit dem Fahrrad quer durch den amerikanischen Kontinent. Im August 2018 machte sich der Extremsportler Jonas Deichmann auf die 23.000 Kilometer lange Reise von der arktischen Küste in Alaska nach Ushuaia am südlichsten Ende Argentiniens. Sein Ziel war es, den aktuellen Weltrekord für die schnellste Radreise ohne Unterstützung und Begleitteam zu brechen. 97 Tage, 21 Stunden und 10 Minuten war seine spektakuläre Bilanz – damit konnte er die bestehende Bestleistung auf dieser Strecke um fast einen Monat unterbieten.
Die härtesten Momente sind die besten Erinnerungen
Auch wenn Jonas Deichmann mit dem Anspruch startete, einen neuen Rekord aufzustellen, ging es dem 31-jährigen Münchner nicht in erster Linie darum, möglichst viele Kilometer in möglichst kurzer Zeit herunterzukurbeln. „Obwohl Geschwindigkeit und Leistung wichtig sind, möchte ich tolle Abenteuer erleben und die wunderbaren Landschaften und Kulturen auf der Strecke erfahren. Was könnte besser sein, als den längsten Kontinent der Erde mit dem Fahrrad zu durchqueren!“ erklärt der Ex-tremsportler, der 2017 als Erster mit dem Fahrrad Eurasien durchquerte und auch hier den Weltrekord hält.
Auf seiner Homepage hat er in einem Tagebuch jeden einzelnen der 97 Tage seiner Panamerika-Tour aufgezeichnet. Tag 3 beschreibt er als einen der schlimmsten der gesamten Reise: Starker Regen begleitete ihn schon, seit er am zeitigen Morgen aufs Fahrrad gestiegen war. Die Straße hatte sich in tiefen Schlamm verwandelt und nachdem er bereits am Vortag mit Regen, Gegenwind und Temperaturen am Gefrierpunkt zu kämpfen gehabt hatte, machten ihm nun auch Gänge und Kette Probleme. Zudem waren die Essensvorräte so gut wie aufgebraucht. Nachdem Jonas Deichmann mittags den mächtigen Yukon überquert hatte, hoffte er immer noch, die 200 Kilometer nach Fairbanks bis zum Abend zu schaffen. Vergebens.
Die immer schlechter werdende Straße machte das Vorhaben unmöglich. Um Mitternacht fiel der Abenteurer hungrig und ohne sein Ziel erreicht zu haben in den Schlaf. „Damals wusste ich noch nicht, was mich in Südamerika erwartet“, erklärt der Münchner rückblickend. „Klar, wenn es gegen null Grad geht mit Dauerregen wie in Alaska und Kanada, dann hat das Auswirkungen auf die Leistung. Aber man kann sich nicht vorstellen, wie groß der Einfluss des Windes vor allem auch in Südamerika ist. Wenn ich die Strecke von Süd nach Nord gefahren wäre, wäre ich gut und gerne zehn Tage schneller gewesen.
Einfach weil ich auf dem Großteil der Strecke Gegenwind hatte. Zum Vergleich:
Es gab in Patagonien Tage, an denen hatte ich Gegenwind und einen Schnitt von 10 km/h. An einem ganzen Tag habe ich nicht mehr als 150 Kilometer geschafft. Und es gab Tage, an denen hatte ich Rückenwind. Da bin ich allein am Vormittag 300 km gefahren, bei einem Schnitt von 45 km/h. Anstrengender waren die Tage mit Gegenwind und 150 Kilometern.
Das Härteste für mich aber war Peru. Das liegt daran, dass bei solchen Distanzen der Körper sowieso schon am Limit ist und letztendlich alles Kopfsache ist. Ich hatte zwar auch in Texas und in Patagonien stärkeren Wind, doch da besaß ich die Hoffnung, dass der Wind dreht.
In Peru war klar:
Der Wind dreht nicht. Zudem ist die Straße extrem langweilig und führt durch eine Wüste, die sich nicht verändert. Vor mir lagen 3000 Kilometer bei denen ich wusste, es wird nicht besser. Der Wind weht jeden Tag mit 30 bis 50 km/h direkt von vorne. Sich da jeden Tag aufs Neue zu motivieren, das ist extrem schwierig.
Auch unvergessliche Naturerlebnisse und einmalige Momente hält der Extremradler in seinem Tagebuch fest: Bekanntschaften mit Grizzlybären, Elchen und Skorpionen. Dass er sein Essen an Bäumen befestigte, um die Bären von seinem Zelt fernzuhalten. Die absolute Wildnis und die traumhaften Landschaften Kanadas, gekrönt von der sensationellen Nacht am Yukon, in der Polarlichter wie magische grüne Geister über ihm tanzen. Den Sternenhimmel und die unberührte Natur auf dem Andenpass in 4500 Metern Höhe an der Grenze zwischen Chile und Argentinien. Die guten Erfahrungen mit den Menschen, die ihm auf seiner Reise begegneten, ihn zum Essen und manchmal auch zum Übernachten einluden oder ihm bei Pannen weiterhalfen.
Startpunkt der Extremtour über 23.000 Kilometer und 200.000 Höhenmeter waren die Ölfelder von Prudhoe Bay, der nördlichsten Stadt Alaskas am arktischen Ozean. Dort, wo Amerika beginnt. Als Startzeitpunkt wählte Jonas Deichmann Ende August das einzig mögliche Zeitfenster, um den amerikanischen Kontinent von Nord nach Süd zu durchqueren, ohne in den Winter zu kommen. Auf die Frage, wie und wann die Idee der „Panamericana“ und der Aufstellung eines neuen Weltrekords entstanden sei, erklärt der Münchner, dass die Idee auf seiner 14.000 Kilometer langen Reise durch Eurasien geboren wurde. „Da hatte ich viel Zeit zum Nachdenken und wollte mich natürlich steigern. So war die Panamericana der nächste logische Schritt“. Den Traum, Amerika mit dem Fahrrad zu durchqueren, jedoch hegt er schon seit vielen Jahren, weil ihn die verschiedenartigen Landschaften und Kulturen faszinieren und
„es einfach ein einmaliges Abenteuer ist.“
Den Unterschied zwischen einer „unsupported Tour“ und einer „supported Tour“ beschreibt Jonas Deichmann so: Supported bedeutet, dass der Fahrer nichts selber macht außer Radfahren. Er wird begleitet von einem großen Team mit Masseur, Koch und mehreren Begleitfahrzeugen. Bei einer unsupported Tour ist man komplett allein unterwegs, und das Radfahren ist eigentlich das Wenigste. Du musst immer planen, wo du schläfst und wo das Essen herkommt. Da ich das alles selber mache, halten sich die Kosten stark in Grenzen. Das finanziere ich durch Sponsoren, aber auch über Vorträge, die ich bei Firmen und in Schulen halte.“
Ziel der Reise war neben der Herausforderung und dem Abenteuer auch ein sozialer Zweck: Da dem Extremsportler der Naturschutz sehr am Herzen liegt, hat er Spenden gesammelt für eine deutsche Hilfsorganisation, die sich für die Wiederaufforstung des Regenwaldes in Süd- und Zentralamerika engagiert.
Text: Cornelia Bubb
Fotos: Jonas Deichmann